Felsritzungen und Schärencharme
Nach einer ruhigen Nacht im Grünen steuerten wir nun die Westküste Schwedens an, um den Bogen rund zu machen.
Unweit der Grenze zu Norwegen liegt der Ort Tanumshede. Hier hat man in einem Areal von knapp 40 Quadratkilometern über 3000 Felsritzungen aus der Bronzezeit bzw. noch früher gefunden. Diese Gegend ist nachweislich seit etwa 8.000 Jahren besiedelt.
Der Ort lag damals vermutlich direkt am Meer, denn die Skandinavische Halbinsel hat sich aufgrund der Plattentektonik seit dem fast 30 m gehoben. Das erklärt vielleicht, warum viele der Motive auf den Felsen Boote abbilden. Vermutlich lag hier ein großes Handelszentrum, denn man hat bei Grabungen an den Standorten Alter Siedlungen z.B. auch römische Glasperlen und andere Artefakte gefunden - es muss also auch schon weit vor Christus innereuropäischen Handel über derart weite Strecken gegeben haben.
Die Felsritzung von Litsleby wird dominiert durch einen fast 2,5 m großen Speergott und weitere Mensch-, Tier- und Bootsdarstellungen. Auffällig ist, dass alle Menschenbilder mit Phallus dargestellt sind - offenbar hatte man in der Bronzezeit deutlich mehr Lebenslust als heutzutage 🤭
Unweit von Litsleby führt ein süßer kleiner Wanderweg zwischen weiteren Felsen hindurch. Nach so viel sitzen im Auto und Lakritzgefutter hatte ich einen starken Bewegungsdrang und nahm das Geschenk des Universums dankend an. Auch der zarte Regen kam wie gerufen, denn bei nassem Stein erkennt man die eingravierten Figuren besser.
Der erste Stopp war die Ritzung von Lövåsen. Hier sieht man wieder viele Schiffe, besonders ein vollbesetztes sticht hervor, deren Besatzung von einem großen Mann mit Hörnern angetrieben wird. Es wird vermutet, dass dies die Darstellung eines Schamanen mit hornbesetzten Helm ist (das war übrigens nur in der Bronze- und Eisenzeit modern, die Wikinger trugen solche Helme gar nicht 🧐).
Der Wanderweg führte mich über üppige Kornfelder, mein Begleiter hütete derweil unser Gefährt, das ich jedoch die ganze Zeit in Blick behalten konnte.
Weiter ging es zur Ritzung von Gerunshällen oder Runohällen. Hier überlagern sich wahnsinnig viele Motive. Das berühmteste und faszinierendste wird der 'Maibaum' genannt und an genau so ein Konstrukt erinnert der Pfahl mit den Bändern auch tatsächlich. Kann es denn sein, dass dieser Brauch also über 2000 Jahre alt ist?
Die Felsplatte selbst ist, mit 15 m über N.N., die am tiefsten gelegene von allen dort gelegenen. Das heißt, sie wurde erst ab 1500 v.Chr. behauen und lag definitiv direkt am Wasser.
Und weiter geht's auf dem Pfad durch den Felsencomic, nächster Halt Søtetorp. Hier gibt es auf zwei Felsen zwei markante Motive: das erste ist ein Netz, das über ein Boot gespannt ist. Die Forscher vermuten, dass es sich hierbei um eine Art Kalender handelt oder zumindest einer Darstellung des Jahres - nachvollziehbar für ein Volk, dass in Einklang mit dem Meer gelebt hat.
Das zweite Motiv zeigt ein Schiff mit Jongleuren und Akrobaten. Unterhaltung war also auch damals schon so viel wert, dass man sich die Mühe machte sie derart detailliert in Stein zu meißeln. Auch in Griechenland fand man übrigens ähnliche Darstellungen, die ungefähr genauso alt sind - hat da vielleicht sogar jemand vom anderen angemalt?
Nach dem Spaziergang war ich dann deutlich ausgelasteter und bereit den Tag ausklingen zu lassen. Schweden kann ich aber nicht einfach verlassen, ohne noch Mal am Meer gewesen zu sein.
Mit dem Bus ist man nicht nur ausgesprochen unabhängig in der Standortwahl, man ist sogar super gut getarnt und kann auch über Nacht heimlich "nur parken", obwohl Camping am Parkplatz vom Naturreservat auf der Halbinsel Hunnebostrand verboten ist. So bekommt man auch den Meer- und Kuhweideblick aus dem Schlafzimmerfenster.
Wir stromerten durch die Schären, eine felsige Küstenform, geprägt durch viele Inseln und enge Buchten, die durch die Eiszeit geschliffen worden. Dort peitscht die raue See des Skagerrak, dem hiesigen Teil der Nordsee. Sie hat die Felsen deutlich geformt und bringt im Zusammenspiel mit Algen und Flechten bizarre Muster hervor.
Doch auch hier an der Küste sieht man die Spuren unserer Zivilisation: der Algenteppich ist gespickt mit Plastik, das Aufsammeln eine reine Sisyphos-Arbeit. Nicht unsere Felszeichnungen werden in 2000 Jahren an unser Dasein hier auf Erden erinnern, sondern unser Müll, den die Natur noch immer nicht bewältigen konnte.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen